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Flow oder die selektive Geschwindigkeit

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slow_1Sommer ist’s, Haupturlaubszeit. Es ist die große Stunde der Entschleunigungs-Apostel und Gesellschaftskritiker, die zur Muße aufrufen, zum Mut zur Faulheit, zum Ausstieg auf Zeit. Unsere hyper-nervöse Gesellschaft, stets am Rande des Burn-Out, soll nun (und sei es nur für zwei Wochen) alles eine Spur langsamer machen als gewohnt. Oder am besten gar nichts. Die Zeitverschwendung, von Max Weber einst als kapitalistische Todsünde gebrandmarkt, wird zur Heilsleere. „Ich gründe eine Müßig-Gang… Alles, was man machen könnte, mach ich nicht“, gibt Judith Holofernes in einem Song den politisch korrekten Takt der Müßig-Gänger an. Happy Summertime.

Die Botschafter der „reinen Leere“ verkünden, dass nur der produktiv sein kann, der sich im Urlaub vom Alltags-Müll befreit und von allen (digitalen wie analogen) Übeln der Zivilisation quasi entleert. Sommerloch gewissermaßen. Man muss kein Zen-Liebhaber sein, um diesen Gedanken charmant (und gleichzeitig albern) zu finden: die Freizeit als Container, in dem man den stressigen Alltag der Nonstop-Gesellschaft entsorgt.

Zugegeben: so viel Stress wie heute war nie. Wir haben zu viele Optionen, müssen uns ständig updaten, unsere innere (immer längere) to do-Liste abarbeiten. Das gilt auch für die Freizeit, die längst keine freie Zeit mehr ist. Doch was tun? Nichts?

slow_travelEs gibt (eine Menge) Leute, die haben für dieses Problem die richtige Lösung (ich freilich habe mit dieser Lösung ein Problem) – der gute Mensch konsumiert slow: Slow Food, Slow Fashion, Slow TV, besucht Slow Cities (ein fragwürdiges Marken-Label – ich kenne mindestens zwei Slow Cities, bei denen man sich erstmal durch eine riesige Gewerbezone am Standrand quälen muss, um dann im adretten Zentrum drei „authentische“ Handwerker und ein Lokal mit regionaler Küche zu finden).

balanceSlow ist sexy. Ich teile diese Vorliebe nicht wirklich. Nicht weil ich ein Wachstumsfetischist wäre – ich halte das rein quantitative Wachstums-Paradigma für eine Sackgasse. Und klar ist: Qualität erfordert Zeit (in Herstellung wie Konsum). Ich bin auch ein großer Anhänger von ritualisierten Auszeiten, von Pausen als unbeschriebenen Zeit-Räumen zwischen den Aktivitäten. Aber eine moralische Bewertung von schnell (=schlecht) und langsam (=gut) widerstrebt mir. Zum einen ist der Mensch adaptiv, passt sich der Umwelt an und entwickelt stets neue Kultur-Techniken und Überlebensstrategien, auch im Umgang mit der Beschleunigung (vgl. „Durch die Eisenbahn wird der Raum getötet, und es bleibt nur noch die Zeit übrig“, Heinrich Heine, 1843). Zum andern ist die Vorstellung und Aneignung von Zeit immer eng an die jeweilige Kultur angebunden (und etwa in Asien eine völlig andere als in Europa).

Der (scharfsinnige) Zeit-Soziologe Hartmut Rosa betont immer wieder, wie sehr der Zeitmangel das bestimmende Lebensgefühl unserer Hochleistungsgesellschaft ist: je effizienter wir produzieren, je stärker wir das Wachstum ankurbeln, desto mehr geraten wir unter Zeitstress. Beschleunigung wird laut Rosa dort – ich ergänze: nur dort – zum Problem, „wo sie zur Entfremdung führt, zum Selbst- und Weltverlust“.

P1030062Wenn es keine fixen Zeitfenster mehr gibt, wenn alles ineinander fließt (z.B. Arbeit und Freizeit), kommen wir mit linearen Strategien (slow oder fast) nicht weiter. Nur wer Gegensätze versöhnt (z.B. Arbeit und Freizeit), wer die Zwischenräume zwischen Eigenzeit und „Alltagszeit“ bespielt, wer zwischen Stress und Langeweile oszilliert, zwischen Geschwindigkeit und Ruhe, Standbein und Spielbein – der kommt in den Genuss des „guten Lebens“.

motobike_sai_gonZeit-Souveränität beruht auf selektiver Geschwindigkeit. Wer je mit einem Motorroller durch die Straßen von Hanoi inmitten Tausender anderer Biker geswingt ist, ein Einzelner in der Masse, der schlafwandlerisch die eigene Geschwindigkeit mit jener der Anderen synchronisiert und sich so wie ein Surfer auf den Wellen durch den Großstadt-Dschungel bewegt, der kennt dieses höchste aller Gefühle: Flow. Fließen – zwischen schnell und langsam. F(ast) + (S)low = Flow. So einfach kann das Glück sein.

Interview Andreas Reiter in der Tiroler Tageszeitung zum Thema: http://www.tt.com/lebensart/freizeit/9009410-91/andreas-reiter-es-geht-um-die-richtige-geschwindigkeit.csp

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